Mit Paulus verbunden: Nachruf auf eine Zeitzeugin

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Mit Paulus verbunden: Nachruf auf eine Zeitzeugin

EKD-Oberkirchenrätin i.R. Gudrun Diestel ist gestorben. Ein Nachruf von Martin Ost.

Gudrun Diestel, die jüngste Tochter des Superintendenten und ersten Pfarrers der Paulus-Kirchengemeinde Berlin-Lichterfelde, war eine der ersten weiblichen Oberkirchenräte der EKD (Evang. Kirche in Deutschland). Geboren am 06. Januar 1929 wuchs sie im Tietzenweg 130 auf. Sie verstarb am 29. Dezember 2024 hochbetagt und geistig wach bis zuletzt in München.

Gudrun Diestel war lebenslang geprägt von ihren Erfahrungen im väterlichen Pfarrhaus: Sie wuchs mit den Schrecken des Dritten Reiches auf und hörte 1934 als Fünfjährige, unbeobachtet unter dem Tisch sitzend, die Nachricht von der Ermordung General Schleichers und seiner Frau mit. Sie spürte, dass sie die Erwachsenen besser nicht fragen und ihr Mithören nicht aufdecken sollte. Später begleitete sie ihren Vater oft zu Pfarrfamilien, deren Väter verhaftet worden waren, z.B. Pfarrer Martin Nöller in Dahlem. Als kleines Kind erlebte sie Vikarinnen ihres Vaters und 1943 die Einsegnung von Theologinnen auf durch Kriegsdienst freie Pfarrstellen.

Weihnachten 1944 prägte sie tief: Die Eltern und vier der fünf Kinder (der Bruder war in Gefangenschaft) feierten miteinander im Bewusstsein, vielleicht das letzte Mal im Leben beisammen zu sein. Beim Abschied erzählte ihr der Vater flüsternd vom Morden in Auschwitz. Ihre Mutter sah Gudrun damals zum letzten Mal, sie wurde am 28. April 1945 von einem russischen Soldaten erschossen, der Vater überlebte schwer verletzt. Als er 1948 im Ruhestand zur Verwandtschaft nach Württemberg gezogen war, konnte sie wenigstens ihn dort noch pflegen.

Gudrun Diestel war seit 1941 in ein Internat in Niesky evakuiert. Eine Lehrerin rettete sie vor der heranrückenden Front, indem sie ihr einen Platz an einer Schule in Karlsfeld im Schwarzwald vermittelte. Während des Krieges konnte Gudrun vieles in den wöchentlichen Briefen an die Eltern nicht ansprechen: Zu groß war die Gefahr, den als widersetzlich geltenden Vater und die ganze Familie durch mitlesende Zensoren zu gefährden. Bis ins hohe Alter erzählte sie aus diesen prägenden Jahren. Ohne ihre vielfältigen Informationen und Erinnerungen hätte ich die Biographie ihres Vaters Max Diestel nicht schreiben können – ein Stück Geschichte der Pauluskirche und ganz Lichterfeldes wäre für immer im Dunkeln geblieben. 

Nach ihrem Theologiestudium und einem Studienjahr in England kam Gudrun Diestel 1956 zum „Bayerischen Mütterdienst“ (heute: Frauenwerk Stein e.V.) von Württemberg nach Bayern. Dort wurde sie nur als „Pfarrvikarin“ eingesegnet, denn Bayern ließ die Frauenordination erst 1976 zu. (In diesem Jahr fiel in Berlin der Zölibatsparagraph für Frauen, sodass Angelika Fischer Pfarrerin an der Pauluskirche werden konnte.)

1974 bewarb Gudrun Diestel sich als Oberkirchenrätin bei der EKD, dort wurde sie als Pfarrerin anerkannt. Zuständig für die vielfältigen Seelsorge-Bereiche, z.B. die Reform der Gefängnisseelsorge in den 1970gern, bestimmten ihre Erfahrungen in der Ökumene und als Frau in der Kirche ihren lebenslangen Einsatz für eine gerechte Gemeinschaft von Frauen und Männern. Seit 1994 im Ruhestand in München engagierte sie sich dafür weiter tatkräftig, bestimmte wesentliche Beschlüsse der EKD und der bayerischen Landeskirche mit und gestaltete internationale Tagungen.

Martin Ost 

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