08/08/2024 0 Kommentare
Kuba: Ein Reisebericht von Barbara Neubert
Kuba: Ein Reisebericht von Barbara Neubert
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Kuba: Ein Reisebericht von Barbara Neubert
"Sie wollen gehen - und sie wollen bleiben":
Im März 2024 hat Barbara Neubert, unsere ehemalige Pfarrerin, Kuba besucht, zum ersten Mal als Referentin des Berliner Missionswerkes. Sie kennt Kuba, kennt die Situation, die schon lange nicht gut ist. Aber jetzt ist alles viel schwieriger geworden. Ein Land in der Dauerkrise. Barbara Neubert hat mit Menschen gesprochen, die sich fortwährend von Freunden und Verwandten verabschieden müssen. Sie hat Menschen erlebt, die nicht wissen, wie es weitergeht. Und sie hat Menschen erlebt, die trotz allem die Hoffnung nicht aufgeben.
Am Sonntag flossen Tränen. Einer der Teamer feierte seinen letzten Gottesdienst in seiner Heimat. Da standen sie nun: seine Freundin, die Freunde aus der Gemeinde, die Pfarrerin. Sie sangen für ihn, beteten für ihn. Er hatte endlich ein Visum bekommen, um zu seiner Mutter zu ziehen, die seit Jahren in den USA lebt. Er wollte gehen, und er wollte bleiben, das spürten alle in diesem Gottesdienst. Denn er liebt sein Land, seine Stadt, seine Gemeinde, seine Freundin. Gleichwohl – er wollte gehen. Wie so viele, die das Leben auf der Insel nicht mehr aushalten. Ohne die Unterstützung der Exilkubaner und -kubanerinnen würde es vielen Familien auf der Insel noch schlechter gehen, wäre ihnen ein Leben in Würde kaum möglich. Das weiß jeder, und das ist bitter. Manche schätzen, dass im vergangenen Jahr eine halbe Million Menschen das Land verlassen haben. Das sind sehr viele, in Kuba leben nur etwa elf Millionen Menschen. »Willst Du auch gehen?« In jedem Gespräch wird es irgendwann zum Thema. Ich habe keinen kennengelernt, der nicht einen nahen Verwandten im Ausland hat.
Dies betrifft auch die Gemeinden. Denn es sind auch Gemeindemitglieder, die gehen und eine Lücke hinterlassen. Zugleich werden Gemeinden immer wichtiger, sie ersetzen Familie, hier begegnen sich Freunde, hier findet man einen Zufluchtsort. In den Kirchengemeinden treffen sich Menschen, die gemeinsam Hoffnung suchen, Hoffnung stärken, Hoffnung feiern. In der Gemeinde in Caibarién gibt es Frauen, die gemeinsam gegen den Brustkrebs kämpften. Überall ein schweres Schicksal – in Kuba, wo gerade die medizinische Versorgung zusammenbricht, umso schwerer. Der Pfarrer findet eine Psychologin, die die Frauen und ihre Selbsthilfegruppe begleitet.
Viele Gemeinden und ökumenischen Zentren geben Essen aus. Manche Menschen können sich ein warmes Essen nicht mehr leisten, von ihrer Grundrente oder von ihrem Gehalt. Die Inflation frisst alles auf. Je nachdem, wie viele Spenden da sind, wird zwei oder vier Mal in der Woche gekocht und dann ausgefahren. »Essen auf Rädern«, auch bei uns in Deutschland weit verbreitet. Mit dem Unterschied, dass es in Kuba sehr staatlichen Geschäften, in denen man mit Lebensmittelkarte einkaufen kann, kommen Reis oder Kartoffeln nur alle paar Wochen an. Und in der Zwischenzeit? Wenn geliefert wurde, stellt sich mein Kollege im Ruhestand gleich in die Schlange und wartet mit den anderen zwei Stunden lang. Er ist weit über 80 Jahre alt. Was kann da man tun? Wie sät man Hoffnung?
Was Hoffnung macht, sind die Gemeinden. Egal wie klein sie sind, immer haben sie die Menschen in der Nachbarschaft im Blick. Die Türen sind offen, jeder und jede ist willkommen. Diese Gemeinden leben Solidarität. Mit ihren Gebeten, ihrem Gesang und ihrer Herzlichkeit stärken sie die Hoffnung. Und sie packen an, so wie die Gemeinden in Camjuaní und Placetas. Sie nutzen ihre Gemeindegärten und lassen alles wachsen, was die tropische Erde hergibt: Bananen und Mango, Yukka und Süßkartoffel, Tomaten und Rote Beete. Die Gemeinden nutzen jede Gelegenheit, die sich bietet, sie wissen, was die Menschen brauchen. In Cárdenas wird Seife und Shampoo hergestellt und verkauft. Shampoo speziell für krauses schwarzes Haar, »Black Lives Matter «, auch in der Gemeinde. Eine Gemeinde hat dafür einen kleinen Laden eröffnet; hier können die kompliziert ist, an die Lebensmittel zu kommen. Die privaten Händler verlangen horrende Preise. In den Menschen ihr Kunsthandwerk verkaufen, etwas dazuverdienen.
In einer anderen Gemeinde wird ein Kindergarten aufgemacht. Er darf nicht Kindergarten heißen, denn der Staat wacht über sein Bildungsmonopol. Es gab eine Zeit, da war das wichtig: Nicht der Reichtum der Eltern sollte über Bildung, Chancen und Lebensweg der Kinder entscheiden. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Heute schafft es der Staat nicht mehr, alle Kinder von klein auf zu fördern, deshalb hat die Gemeinde in Guanabacoa eine Kinderbetreuung organisiert, von montags bis freitags. Die Eltern können zur Arbeit gehen, die Kinder spielen und lernen zusammen. »Lasset die Kinder zu mir kommen!« – die Kirche hat einen Weg dafür gefunden.
Hoffnung säen – und der Wut Raum geben. Der Wut, dass sich so wenig ändert; der Sorge, wie es in Zukunft weitergeht. Wenn die Kubanerinnen und Kubaner über‘s Meer blicken, sehen sie im Westen das Land Haiti. Es gehört inzwischen zu den »Failed States«, zu den gescheiterten Staaten, die nicht mehr in der Lage sind, grundlegende staatliche Aufgaben zu erfüllen. In Haiti hat die Regierung die Kontrolle über das Staatsgebiet an kriminellen Banden verloren. Es gibt weder Rechtssicherheit noch Sozialleistungen, die Menschen kämpfen ums Überleben. Blicken die Kubanerinnen und Kubaner nach Norden, sehen sie Florida und die USA. Wo ein Teil der Menschen, im Überfluss lebt, zugleich ein anderer Teil unterhalb der Armutsgrenze; eine kapitalistische Wirtschaftsweise keine Rücksicht nimmt.
Wohin wird sich Kuba entwickeln? Welche sozialen Errungenschaften wird das Land erhalten können?
Barbara Neubert
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