19/08/2024 0 Kommentare
Kirchenkampf in der Paulus-Gemeinde: Das Buch
Kirchenkampf in der Paulus-Gemeinde: Das Buch
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Kirchenkampf in der Paulus-Gemeinde: Das Buch
Eine Rezension von Dr. K.-H. Lütcke
Kann man sich das heute vorstellen? Der eine Pfarrer darf in der Pauluskirche predigen; der andere muss seine Gottesdienste im Gemeindehaus feiern. Dabei wohnen sie im gleichen Pfarrhaus, begegnen sich also fast täglich. Aber die Haltung zur politischen Entwicklung in der NS-Zeit und den Jahren davor schafft einen tiefen Riss zwischen ihnen.
Martin Ost hat den Konflikt zwischen den beiden Pfarrern der Paulus-Gemeinde in seinem Buch „Es ziemt sich nicht, Ihnen die Hand zu reichen!“ dargestellt.
Der Pfarrer Wilhelm Antonowitz hatte sich den mit Hitler sympathisierenden Deutschen Christen (DC) angeschlossen, der Pfarrer Peter Andreas Petersen gehörte dem Pfarrernotbund und der Bekennenden Kirche (BK) an; ihm war es wichtig, das Evangelium in der Bindung an Christus ohne die Vermischung mit der NS-Ideologie zu verkündigen.
Martin Ost hat für sein Buch die Protokolle des Gemeindekirchenrats (GKR) ausgewertet. Dabei muss man sich klarmachen, dass das damals ein GKR für alle Gemeinden in Groß-Lichterfelde war. Auch dieser GKR war gespalten. Es gab zwei „Fraktionen“: die DC-Anhänger und die BK-Leute, die sich unter dem Motto „Evangelium und Kirche“ versammelt hatten. Man kämpfte um Mehrheiten im GKR, suchte Kompromisse und zog gelegentlich mit der ganzen Fraktion aus den GKR-Sitzungen aus, teils als Demonstration, aber auch, um die Beschlussfähigkeit zu verhindern. Bei fast allen Themen (vom Kindergottesdienst über Liturgiefragen bis zu Personalfragen) brach der Konflikt auf.
Martin Ost geht in der Auswertung der Protokolle chronologisch vor, zitiert und kommentiert die Beschlüsse und Diskussionen, soweit sie den Konflikt betreffen. Man erfährt dabei aber zusätzlich so manche interessante Einzelheit aus dem damaligen Gemeindeleben. Mir war z.B. bisher nicht bewusst, in welchem Maße sich die Lichterfelder Gemeinden in der Kriegszeit seelsorgerlich auch um die Gemeindeglieder kümmerten, die wegen der Bombenangriffe evakuiert wurden.
Unter den Pfarrern der Lichterfelder Gemeinden gehörte die große Mehrzahl zur BK und stand unter Beobachtung durch die Gestapo. Die Pfarrer der Johanneskirche Willy Prätorius und Karl Grüneisen gehörten sogar dem obersten Berliner Leitungsgremium an, dem „Bruderrat“ der Berliner BK. Martin Ost hat sich in seiner Darstellung auf den Konflikt zwischen den Pfarrern der Paulus-Gemeinde, Antonowitz und Petersen, konzentriert und dabei auch einen Blick auf ihre Lebensgeschichte und ihre Theologie geworfen. Die nicht sehr umfangreichen Quellen (Personalakten und im Fall von Petersen ein Lebensbericht, den die Ehefrau aufgeschrieben hat), zitiert und kommentiert Ost ausführlich. Ob man aus der früheren Lebensgeschichte der beiden schon ablesen kann, auf welcher Seite im Kirchenkampf sie einmal stehen werden, scheint mir zwar fraglich. Aber insbesondere die Lebensgeschichte von Petersen mit seinen vielfältigen Stationen (Gemeindepfarrer in Nordschleswig, Militärpfarrer im Ersten Weltkrieg, Volksmissionar, Schulleiter, Krankenhausseelsorger und dann Paulus-Pfarrer) und seine bedachten und eigenständigen Urteile sind beeindruckend. Bei Antonowitz ist im negativen Sinne bemerkenswert, ja erschreckend seine Flugschrift „Wir bekennen!“, deren erste Abschnitte lauten: „Unser Bekenntnis zum Nationalsozialismus“ und „Unser Bekenntnis zu Volk, Blut und Boden“. Da versteht man, dass ein Mann wie Petersen ihm nicht die Hand reichen wollte.
Martin Ost fasst am Schluss das in den Protokollen Erarbeitete überzeugend zusammen und sucht dabei auch einen Zugang zu den Persönlichkeiten der beiden Pfarrer. Eindrucksvoll ist ein Nachwort. Es enthält ein leidenschaftliches Plädoyer für das Gespräch und die Diskussion zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, und es formuliert als Frage der Bekennenden Kirche an uns: „Wie weit dürfen Christen sich einer Moderne anpassen, ohne Schrift und Bekenntnis aufzugeben?“
Dr. Karl-Heinrich Lütcke, Pfarrer und Probst i. R.
Marin Ost: „Es ziemt sich nicht, Ihnen die Hand zu reichen.“ Grenzen des Miteinander. Bekennende Kirche gegen Deutsche Christen in Berlin-Lichterfelde, Hamburg 2024.
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